Die nächste Etappe soll uns an Chios entlang nach Norden bringen, um den Tag darauf den Schlag nach Lesvos erträglich kurz zu halten. In Erwartung von Gegenwind und auch, um das Segel einmal zu testen haben wir den Kutterstag mit dem knallorangen Sturmsegel angeschlagen. Bilder davon kann ich nicht liefern. Wohl vergessen aber auch wohl zu peinlich, da der Wind wahrlich nicht annähernd ein Sturmsegel rechtfertigt. Zwecks Besorgung machen wir Kurzstation in Chios-Hafen. Hier kommt auch wieder das Vorstag samt Segel runter. Am Nachmittag geht es unter normalen Segeln weiter nordwärts zur Bucht mit dem Dorf Lakanda. Hier räumen wir beim längsseits Anlegen fast einen Trockenrost mit einigen Oktopussen ab. Der herbeieilende Kellner verhindert das Malleur und wir kehren zum Dank bei ihm abends ein.
Am nächsten Morgen müssen wir in die Achterspring dampfen, um nicht doch noch erfolgreich die Oktopusse zu versenken. Glücklich abgelegt, fahren wir unter starkem Seitenwind die Bucht heraus, um dann bei ordentlichem achterlichem Wind nur mit der Fock gute Fahrt Richtung Lesvos zu machen. Erst kurz vor dieser Insel dreht der Wind und bläst uns auf die Nase. Wir ändern deshalb die Zielplanung und laufen nicht den Golf im Südosten der Insel an, sondern den Hafenort Plomari. Hier soll der beste Ouzo der Nordägäis gebrannt werden.
Ich muss zu dem wohl unausgelastetsten Hafenpolizisten Griechenlands ins Büro zum Anmelden. Wohl aus Langeweile (Inkompetenz spielt auch eine Rolle) hält er mich eine Ewigkeit dort auf und versucht mir ständig was auf Englisch (was er nicht beherscht) zu erzählen. Allerdings ist er sehr nett.
Die Nacht machen wir lange kein Auge zu, da so viel Schwell in den Hafen steht und heftige Böen an den Festmachern und dem Anker zerren. Bei dem Auf und Ab der Wellen kommen wir mit dem Heck der Hafenmauer bedenklich nahe. Wenn der Anker den Halt verliert muss schnell gehandelt werden. In den Morgenstunden wird es aber ruhiger und wir können schlafen. Da wir am Folgeabend unseren Überbringer des neuen Segels erwarten, suchen wir für die Nacht einen Platz im Süden der Insel und in der Nähe des Flughafens. Die Fahrt führt uns nach Scala Louvron im oben genannten Golf. Der vorhergesagte Wind aus Nord kommt aber auf der Leeseite der Inseln immer anders, als man denkt. Anfänglich schöner Halbwindkurs, dann Raumschots und, als wir gerade auf Schmetterling getrimmt haben, bleibt der Wind ganz weg, um unmittelbar darauf mit Intensität von vorne zu kommen. Schnell wird gerefft und hoch am Wind geht es mit Lage voran. Als wir in den Golf einschwenken, kommen die Segel rein und wir motoren die letzten 6 Sm. Böen in Stärke 6 und mehr kommen uns entgegen und erst, als wir kurz vor dem Anlegeskai des Hafens sind, ist Ruhe. Bei Windstille legen wir an. Beim Blick zurück sehen wir keine 100m entfernt stark gekräuseltes Wasser, das von heftigen Böen stammt. Um 22.30h kommt Jan mit dem Taxi und muss uns beichten, dass die Firma ihm ein falsches Segel mitgegeben hat. Die Größe stimmt, aber die Farbe nicht, deshalb muss er es nach dem morgigen Einweisungssegeln wieder mitnehmen und dem eigentlichen Käufer zukommen lassen. Unseres wird per UPS auf den Weg gebracht.
Etwas Theorie am Morgen, dann legen wir ab und fahren dem wenig Wind 7 Sm entgegen. Dann kommt das geile 166 qm Ding aus dem Sack. Über uns schwebt ein riesiger blau-weißer Ballon und treibt uns bei 6kn Wind tatsächlich 4kn voran. Es wird viel probiert und unterschiedliche Kurse gesegelt, Segel einholen und wieder setzen. Danach geht die Fahrt zur Straße zwischen Lesvos und der Türkei. Hier weht es etwas mehr und bei 12kn in Böen 15kn knacken wir die 8kn Speed vor dem Wind. Mit dem Segel kann man sogar bis zu fast 60 Grad an den Wind fahren. Bei 10-12kn Wind macht das Schiff dann allerdings ordentlich Lage. Später geht es dann unter Fock und Groß ganz normal Richtung Mytilini, dem Haupthafen von Lesvos. Ein toller Segeltag mit 38 Probemeilen geht mit herrlichstem Segeln bei Amwindkurs zu Ende.
Nach dem gemeinsamen Abendessen steigt Jan guter Stimmung ins Taxi und fliegt zurück nach Österreich. Wir hoffen, dass unser Segel übermorgen eintrifft.